Punktgenauer Pflanzenschutz
„Viel hilft viel“ war noch nie das Mittel der Wahl. Grundsätzlich müssen Nutzpflanzen jedoch gegen Schädlinge, Krankheiten und Nährstoffkonkurrenten geschützt werden. Das gelingt mit fein dosierender Präzisionslandwirtschaft, die auch neue Räume für die Artenvielfalt eröffnet.
© baranozdemir
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Das Thema Pflanzenschutz führt immer wieder zu intensiven Debatten in der Öffentlichkeit. Auch in der Landwirtschaft selbst sind die Positionen vielfältig. Das Spektrum reicht von Vertretern der konventionellen Landwirtschaft bis zu ökologisch arbeitenden Bauern. Selbst in diesen „Lagern“ existieren jeweils unterschiedliche Meinungen und Methoden.
Nichtsdestotrotz sind sich Landwirtinnen und Landwirte unabhängig von der Bewirtschaftungsform in einem Punkt einig: Kommerziell angebaute Nutzpflanzen müssen geschützt werden. Umstritten ist beim Pflanzenschutz also das Wie, nicht das Ob.
Warum überhaupt Pflanzenschutz?
Pilzbefall, Krankheiten und Unkräuter als Nährstoffkonkurrenten bedrohen die Ernten in jeder Saison aufs Neue. Zudem sind die Pflanzen potenziellem Schädlingsbefall ausgesetzt, der wiederum mit einer zusätzlichen Viren- oder Pilzübertragung einhergehen kann. In diesen Fällen fungiert der Pflanzenschutz auch als „Medizin“ für Pflanzen. Wirksamer Pflanzenschutz
- gewährleistet ausreichende und qualitativ hochwertige Ernteerträge,
- stellt eine verlässliche Lebensmittelversorgung sicher,
- ermöglicht eine klima- und umweltschonendere und nachhaltige Landwirtschaft,
- trägt zur Wettbewerbsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe bei,
- entschärft den „Tank-versus-Teller“-Konflikt, weil durch die minimierten Ernteverluste genügend Lebensmittel und Biomasse als Energieträger zur Verfügung stehen.
Pflanzenschutz in der Praxis

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Heutzutage stehen der konventionellen Landwirtschaft moderne Wirkstoffe für den Pflanzenschutz zur Verfügung, die von der chemischen Industrie hergestellt werden. Sie schützen Pflanzen zuverlässig vor Schädlingen, Unkraut und Krankheiten – und das – die korrekte Anwendung vorausgesetzt – ohne unvertretbare Risiken für Mensch, Tier und Umwelt. Ihr Einsatz erfolgt immer häufiger mit hochpräzisen Hightech-Lösungen, die das Ausbringen nach dem Grundsatz „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ im Vergleich zu früher noch einfacher machen. Die chemische Industrie hat diese schonenderen Technologien mitentwickelt und vorangetrieben und verhilft der Branche somit zu mehr Nachhaltigkeit.
Dieses Wissen wird weitergegeben: Die Pflanzenschutz-Expertise der Landwirtinnen und Landwirte wird alle drei Jahre in verbindlichen Sachkunde-Schulungen aufgefrischt. Im selben Rhythmus müssen ihre Pflanzenschutzgerätschaften zum „Spritzen-TÜV“.
Integrierter Pflanzenschutz als Königsweg
Heute sind chemische Präparate ein Pflanzenschutz-Baustein von vielen. Integrierter Pflanzenschutz wird seit Langem praktiziert – und ist seit dem Jahr 2011 auch gesetzlich verankert. Der integrierte Pflanzenschutz wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) als „gute fachliche Praxis“ definiert und ist zudem seit 2013 Pflichtbestandteil der vorgeschriebenen Sachkunde-Fortbildungen.
Im integrierten Pflanzenschutz wird der erwähnte „So wenig wie möglich“-Grundsatz praktisch umgesetzt. Er vereint das Beste aus beiden Welten, indem er den chemischen Pflanzenschutz des konventionellen Wirtschaftens mit nicht-chemischen Ansätzen kombiniert. Landwirtinnen und Landwirte können dadurch auf einen wirksamen Maßnahmenmix zurückgreifen und unterschiedliche Methoden gezielt aufeinander abstimmen.
Dazu zählen konventionelle Methoden wie die traditionelle Pflanzenzucht und der chemische Pflanzenschutz. Aber auch der Einsatz von Nützlingen und Viren zur Schädlingsbekämpfung, die Wahl der für den Standort angepassten Sorte und wechselnde Fruchtfolgen. Hinzu kommen die mechanische Entfernung von Unkraut und Schädlingen sowie Zäune, Fallen und Netze gegen Wildfraß, Insekten, Schnecken und Vögel.
Diese biologischen und biotechnologischen, züchterischen sowie anbautechnischen Pflanzenschutzmaßnahmen beschränken den Einsatz chemischer Mittel auf ein Minimum. Diese werden erst eingesetzt, wenn sich nicht-chemische Maßnahmen als unzureichend erweisen und die „wirtschaftliche Schadensschwelle“ überschritten wird, die Ernteausfälle also gravierender als die Behandlungskosten sind. Die konkrete Situation auf den Feldern entscheidet also darüber, welches Instrument aus dem Medizinkoffer in welchem Umfang zum Einsatz kommt.
Was genau ist dann „bio“?
Um sich als „bio“ bezeichnen zu dürfen, müssen Lebensmittel die Anforderungen der EU-Kriterien für das „Bio-Siegel“ erfüllen. Darüber hinaus gibt es vielfältige Strömungen und Überzeugungen mit zusätzlichen, aber unterschiedlichen Anforderungen, die die verschiedenen Verbände für ihre Zertifikate stellen. Entsprechend groß ist die Bandbreite an zulässigen Maßnahmen. Dazu zählen auch chemische Pflanzenschutzmittel – wenn auch in eingeschränktem Maß. Dennoch versucht man im biologischen Anbau grundsätzlich, so weit wie möglich ohne chemische Pflanzenschutzmittel auszukommen und stattdessen „ökologischen Methoden“ den Vorzug zu geben.
Pflanzenschutz präziser planen …

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In Deutschland digitalisiert sich die Landwirtschaft rasant: Schon heute nutzt rund jeder Zweite (53 Prozent) in der Branche digitale Lösungen. Bevor ein Traktorreifen den Acker berührt, liefert die moderne Präzisionslandwirtschaft (auch: Smart Farming oder Precision Farming) wertvolle Erkenntnisse: Boden-, Wetter- und Pflanzendaten werden durch Satelliten- und GPS-Daten sowie Drohnenaufnahmen detailgenau analysiert.
So nutzten 2019 bereits 25 Prozent der Betriebe über 100 ha Drohnen, die aus der Luft z. B. den Wuchs der Pflanzen analysieren, Krankheiten erkennen oder den optimalen Erntezeitpunkt bestimmen können. Neueste Agrartechnologien liefern sogenannte Biomassebilder sogar durch Wolkendecken hindurch.
Die optimale Pflanzenschutzstrategie hängt von vielen Faktoren ab. Dazu zählen etwa die Kultur und Sorte sowie Wetterdaten, Höhenlagen, Biodiversitätszonen oder die Biomasseverteilung. Mit diesen Daten werden agronomische Modelle errechnet, die den Pflanzenschutz durch optimale Timing- und Dosierungsempfehlung nachhaltiger machen. So erfolgt der Einsatz etwa nur bei Bedarf und auf Basis der Feldbelastung. Digitale Landkarten zeigen an, wo auf den Feldern welches Mittel wie dosiert werden muss. Schutzzonen wie Biodiversitätsfenster lassen sich so in die Abläufe integrieren und die gesetzlich vorgeschriebenen Abstände zu Gewässern und Nebenflächen automatisch einhalten.
… und digital dosieren
Die Präzisionslandwirtschaft ermöglicht es auch, den Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln zielgerechter zu machen und die ausgebrachte Menge zu reduzieren. Denn nach den IT-gestützten Analysen, Berechnungen und Planungen erfolgt das maßgeschneiderte Bewirtschaften der Anbauflächen ebenfalls immer häufiger mithilfe von digital gesteuerten Maschinen.
Dieses Zusammenspiel von Spezialsoftware und ausgeklügelter „Agrar-Hardware“, den digitalfähigen Maschinen, ermöglicht ein Arbeiten auf dem Feld, das weitaus effizienter, präziser und schonender ist, als es allein von Menschenhand möglich wäre. Dies erhöht die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft.
So kann ein Traktor mittels GPS – etwa die Hälfte aller heute gefertigten Modelle verfügt darüber – auf bis zu zwei Zentimeter genau gesteuert werden. In Verbindung mit geeigneten Anbau- und Applikationsgeräten lassen sich so Dünge- und auch Pflanzenschutzmittel präzise und ohne Überlappung auf die Pflanzen oder in den Boden bringen.
Auch die Feldspritzgeräte, die die Pflanzenschutzmittel verteilen, werden immer ausgeklügelter. Besonders weit entwickelte Technologien kombinieren Kameras und Software mit einer digitalen Plattform für den optimierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Die Maschinenhersteller prognostizieren für dieses „Smart Spraying“ einen signifikant reduzierten Bedarf an Pflanzenschutzmitteln.
In verschiedenen Testreihen werden bereits Feldroboter erprobt, die mit Kamerasystemen Unkraut erkennen können und es mit punktuellen Sprühstößen oder rein mechanisch, also ganz ohne Herbizideinsatz, beseitigen.
Wie steht es um Rückstände in Lebensmitteln?

© fotografixx
Pflanzenschutzmittel sind dafür konzipiert, auf dem Feld zu wirken. Auf dem Teller möchte sie niemand haben. Doch eine Warenwelt vollkommen ohne Rückstände ist aus praktischen Gründen nicht realistisch. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass in Deutschland gehandelte Lebensmittel regelmäßig von Bundesbehörden mit einem engmaschigen Kontrollsystem überprüft werden. Dabei gilt: Solange die gemessenen Rückstände die eng gesetzten Höchstgehalte nicht überschreiten, sind sie gesundheitlich unbedenklich und somit zulässig. Und das ist fast immer der Fall.
Lebensmittel aus Deutschland weisen nur sehr selten zu hohe Rückstände an Pflanzenschutzmitteln auf. Nur bei 1,0 Prozent (EU: 1,3 Prozent, Nicht-EU: 6,5 Prozent) der über 20.000 untersuchten Proben konnten im Jahr 2019 Überschreitungen der Rückstandshöchstgehalte festgestellt werden, so das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Fast immer sind diese Grenzwertüberschreitungen auf unsachgemäße Anwendung der Präparate zurückzuführen.
Was bedeutet das für die Biodiversität?
Weitgehender Konsens besteht darüber, dass die Artenvielfalt in Deutschland in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat. Einen alleinigen Auslöser gibt es nicht, die Gründe sind vielfältig. Neben dem Verlust geeigneter Lebensräume, der Versiegelung von Flächen oder der Lichtverschmutzung können auch die intensive Landwirtschaft und der chemische Pflanzenschutz negative Auswirkungen auf die Biodiversität haben.
Ohne Zweifel ist die Landwirtschaft in Deutschland der größte Flächennutzer. Die landwirtschaftliche Nutzung der etwa 12,5 Millionen Hektar bedeutet auf den Ackerflächen immer eine Reduktion der Biodiversität – unabhängig von der Bewirtschaftungsform konventionell oder ökologisch. Diesen Gedanken muss man zulassen. Das Beispiel eines Weizenfeldes führt ihn vor Augen. Dieses wird immer von Weizen, und nicht von einer vielfältigen Vegetation, geprägt sein.
Agrarflächen optimal nutzen, Ausgleich schaffen
Wie können Landwirtinnen und Landwirte dafür sorgen, dass die Artenvielfalt besser geschützt wird? Längst selbstverständlich ist es zum Beispiel, die Wirkung von Pflanzenschutzmitteln zeitlich und räumlich zu begrenzen – auf die behandelte Fläche und auf den Zeitraum, in dem Schaderreger auftreten können. Hierzu hat man ein umfangreiches Instrumentarium des Risikomanagements entwickelt. Auflagen für den Anwender von Pflanzenschutzmitteln legen fest, wie er etwa die Verwehung von Sprühnebel hinein in Naturflächen so gering wie möglich halten kann. Die erwähnten digitalen Technologien unterstützen Landwirte bei diesen Zielen.
Eine wichtige Ergänzung sind Ausgleichsflächen in und neben den Feldern. Indem sie vielen Tier- und Pflanzenarten als Lebensraum dienen, fördern Blühstreifen, Beetle Banks oder Holzlegen die Biodiversität und das ökologische Gleichgewicht auf natürliche Weise.
Unabhängig davon gilt: Jeglicher Flächenverbrauch, so etwa auch für den Gebäudebau oder den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, muss grundsätzlich so klein wie nur irgend möglich gehalten werden. Denn mit jedem Quadratmeter versiegelter Fläche geht wichtige Biodiversität verloren. Ziel in Deutschland sollte es daher sein, Agrarflächen bestmöglich für den Lebensmittelanbau zu nutzen – auch unter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Denn je intensiver diese Felder bestellt werden, desto kleiner können diese Flächen bleiben. Hinzu kommt, dass bei der Bewirtschaftung kleinerer Flächen weniger CO2 entsteht, weil z. B. Traktoren weniger Strecke für den gleichen Ertrag zurücklegen müssen.
Die moderne Landwirtschaft steht nicht im Gegensatz zu nachhaltiger Nutzung und lebendiger Natur. Denn letztendlich braucht sie gesunde, vielfältige Naturräume, um langfristig zu bestehen und erfolgreich zu sein.