Die Welt braucht nachhaltige globale Lieferketten, um die Armut zu bekämpfen

Durch die COVID-19-Pandemie ist die Welt heute eine andere als früher. Die Auswirkungen der Krise sind ungleich und ungerecht. Die Berichte der Internationalen Arbeitsorganisation der UN (IAO) haben uns bereits gezeigt, dass in dieser Zeit Millionen von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind und Milliarden von Menschen in die Armut zurückgefallen sind.

Bei der Erholung von den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen dieser Pandemie dürfen wir nicht zum "business as usual" zurückkehren. Stattdessen muss unbedingt eine neue und gerechtere Welt entstehen, die in der Lage ist, das inakzeptable Ausmaß an Ungleichheit, den Mangel an sozialem Schutz sowie an menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Mehrheit der Weltbevölkerung und die drohende Klimakatastrophe zu bewältigen.

Historische Ausmaße von Ungleichheit und massiver Arbeitslosigkeit sind das Ergebnis eines ungleichen und nicht nachhaltigen globalen Wirtschaftsmodells, das darauf ausgelegt ist, einigen wenigen zu nutzen. Globale Lieferketten wirken sich zunehmend auf die Wirtschaft und das Leben der Menschen aus und führen zu drastischen Veränderungen für Handel, Produktion, Investitionen, Beschäftigungsverhältnisse und für die Arbeit selbst.

Unternehmen, die über Lieferketten einkaufen, müssen ihre Verantwortung gegenüber den Beschäftigten, die bei ihren Zulieferern und Subunternehmern beschäftigt sind, wahrnehmen.

In globalen Lieferketten sind unzumutbare Arbeitsbedingungen keine Seltenheit. Meist sind es die einfachen Arbeiter und Arbeiterinnen, die lange Stunden arbeiten, oft weit über die gesetzlichen Grenzen hinaus, für Armutslöhne und unter Bedingungen, die gegen viele Arbeitsschutzstandards verstoßen. In der Bekleidungsindustrie zum Beispiel liegen die Löhne der meisten Arbeiter und Arbeiterinnen nicht über dem Niveau des Mindestlohns in ihrem Land, der wiederum in vielen Fällen weit unter dem Existenzminimum liegt. Die Beschäftigten sind gezwungen, extrem lange zu arbeiten, um ihren Grundverdienst auf ein Niveau aufzustocken, von dem sie sich und ihre Familien ernähren können.

Prekäre Arbeitsverhältnisse sind weit verbreitet, wobei Zeitverträge, Leiharbeit und Unterverträge die Norm sind. Verstöße gegen das Recht auf Vereinigungsfreiheit sind an der Tagesordnung, der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist auffallend niedrig und Tarifverhandlungen finden selten statt.

Programme zur sozialen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR), die von Unternehmen entwickelt wurden, verlassen sich größtenteils auf Audits und Compliance, um zu versuchen, die Bedingungen in den Zulieferfabriken zu verbessern. Diese einseitigen, freiwilligen und unverbindlichen Bemühungen haben in der überwiegenden Zahl der Fälle versagt, wenn es darum ging, Löhne und Arbeitszeiten zu verbessern oder die Achtung des Rechts der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, einer Gewerkschaft beizutreten, zu gewährleisten.

Die Erfahrung zeigt, dass dort, wo die Vereinigungsfreiheit respektiert wird und es den Beschäftigten erlaubt ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren sowie Kollektivverhandlungen zu führen, sie in der Lage sind, sich gegen Ausbeutung zu wehren und angemessene Einkommen und Arbeitsbedingungen einzufordern und zu erhalten. Wo diese Rechte verweigert werden, ist das CSR-Modell nicht in der Lage, die Lücke zu schließen. Die Selbstregulierung, unterstützt durch die Prüfung der Einhaltung der Menschenrechte durch die Unternehmen, hat jede Glaubwürdigkeit verloren.
Wir müssen diesen Teufelskreis durchbrechen. Wir brauchen Rechenschaftspflicht, Transparenz, Verantwortung und Rückverfolgbarkeit in den globalen Lieferketten.
Wir brauchen ein günstiges Umfeld durch verpflichtende Sorgfaltsprüfungen. Die gute Nachricht ist, dass die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) breite Unterstützung finden in der Gesellschaft, jedoch keine verbindlichen Verpflichtungen für Unternehmen vorsehen.

Die Welt braucht verbindliche und durchsetzbare Standards. Wir unterstützen einen verbindlichen UN-Vertrag zu Wirtschaft und Menschenrechten mit verpflichtender Sorgfaltspflicht. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass es einen ähnlichen Prozess in der Europäischen Union gibt. Wenn diese internationalen Standards durch nationale Gesetzgebungen ergänzt werden, wie es in Deutschland geschehen ist, ist dies ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit in der Welt. Ein wahrer "game changer".

Wir fordern auch eine IAO-Konvention über Lieferketten, die einen globalen Rahmen mit Kernarbeitsnormen für grenzüberschreitende Verhandlungen und Tarifverhandlungen enthält, und wir fordern, dass die IAO-Arbeitsschutznormen den Kernarbeitsnormen hinzugefügt werden.

Zur Operationalisierung dieser Standards brauchen wir ein System globaler Arbeitsbeziehungen oder einen grenzüberschreitenden sozialen Dialog. Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht erfordert die Einbeziehung aller Stakeholder, und was die Beschäftigten und Gewerkschaften betrifft, sind die Arbeitsbeziehungen der Schlüssel in diesem Prozess.

In diesem Zusammenhang bieten wir unsere Global Framework Agreements (GFAs) an, die zwischen globalen Gewerkschaften und multinationalen Unternehmen ausgehandelt werden. Durch GFAs verpflichten sich Konzerne, die Kernarbeitsnormen der IAO, einschließlich des Rechts auf Vereinigungsfreiheit, in ihren eigenen Betrieben und in ihren Lieferketten einzuhalten.

Gewerkschaften auf nationaler und internationaler Ebene sind bereit, sich für eine gerechtere Welt mit besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in globalen Lieferketten einzusetzen.
Diese historische Verantwortung erfordert ebenso aufrichtiges wie ernsthaftes Engagement und Partnerschaft.

Der Artikel ist im Original auf Englisch erschienen. Hier geht es zur Originalversion.

Der Autor

Kemal Özkan ist seit 2012 stellvertretender Generalsekretär von IndustriALL Global Union. 

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