Industrie braucht Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeit braucht Industrie

Durch unsere derzeitige Art zu wirtschaften werden die planetaren Grenzen in einem nie dagewesenen Maß überschritten. Die Klimakrise mit all ihren ökologischen, ökonomischen und sozialen Verwerfungen ist bereits drastisch sichtbar. 

Der Erhalt der Lebensgrundlagen für unsere Kinder und Enkelkinder ist unser aller Verantwortung. Inzwischen ist längst klar, dass es nicht um die Frage geht, ob Klimaschutz oder Wirtschaft wichtiger ist, nein, Klimaschutz ist längst eine fundamental ökonomische Frage. Die Kosten eines ungebremsten Klimawandels sind wirtschaftlich schlicht nicht zu meistern. 

Gleichzeitig ergeben sich durch die Dekarbonisierung grundlegend neue Geschäftsmodelle und neue Märkte für Unternehmen, die sich auf den Weg in die postfossile Zukunft machen. Dekarbonisierung bedeutet auch, dass wir enorme Investitionen und Innovationen benötigen, die nur mit und nicht gegen die Industrie möglich sind. Dass wir resiliente Infrastrukturen brauchen. 

Nach meiner Erfahrung haben die allermeisten Unternehmen die enormen Herausforderungen beim Klimaschutz erkannt – und sind damit teils weiter als Teile der Politik. 

Gleichzeitig ist klar: wir stehen erst am Anfang eines historischen Umbruchs, der Industrie und Gesellschaft viel abverlangen wird, vor allem bei der Geschwindigkeit der Transformation. Dafür braucht die Chemie Mut, Ideenreichtum und natürlich geeignete regulatorische Rahmenbedingungen. 

 

Zu Nachhaltigkeit gehört eine starke Wirtschaft 


Ziel 9 der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen richtet sich mit einem klaren Auftrag an die Politik: eine widerstandsfähige Infrastruktur aufzubauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung zu fördern und Innovation zu unterstützen. Deutschland ist zweifellos weltweit einer der stärksten Industrienationen. Gerade die Chemie gehört zu den Erfolgsbranchen aus Deutschland. Und Deutschland verfügt – trotz einiger Defizite beispielsweise im digitalen Bereich – über eine insgesamt sehr gute Infrastruktur. 

Sind wir also mit Blick auf Ziel 9, mit Blick auf Industrie, Innovation und Infrastruktur hierzulande bestens aufgestellt? Ganz so einfach ist es nicht. Denn der Blick auf den Ist-Zustand reicht bei Weitem nicht aus. 

Wollen wir eine dauerhaft erfolgreiche Industrie in Deutschland, kommen wir nicht umhin die großen Herausforderungen dieser Zeit anzugehen: das ist natürlich – besonders drängend – die Klimakrise. Aber auch Digitalisierung, Fachkräftemangel, Rohstoffversorgung und ein sich veränderndes geopolitisches Umfeld bilden erhebliche Herausforderungen. Hier haben wir schon jetzt kritische Engpässe, Handlungsdruck und Verwerfungen. Wichtig wäre es aber, dem Handlungsdruck soweit möglich zuvor zu kommen und den Herausforderungen vorausschauend zu begegnen. Je eher, je mutiger sich Unternehmen diesen Veränderungen stellen, desto bessere Chancen haben sie auf den Märkten der Zukunft. Wir haben keine Zeit zu verlieren – weder beim Klimaschutz noch bei der Digitalisierung.

Lösungen für die großen Herausforderungen


Die ökologisch-soziale Transformation verlangt einen tiefgreifenden Wandel und birgt zugleich ein großes Zukunftsversprechen. Sauber und sozialverträglich produzierte Güter, Prozesse und Dienstleistungen, die den Bestand der Industrie in Europa nachhaltig sichern und deren Stärken neu begründen – das ist die Vision. Es wäre aber naiv, dies allein auf die Schultern der Industrie zu legen. 

Wir benötigen richtig gesetzte staatliche Rahmenbedingungen, mutige öffentliche und private Investitionen in die Infrastrukturen der Zukunft, in Bildung und Forschung, eine ambitionierte Industriepolitik, durch die ökologische Innovationen verstärkt gefördert werden, Abschreibungs- und Verlustrechnungsmöglichkeiten verbessert und Liquidität sichergestellt werden. Gerade die Chemieindustrie braucht hier Rückendeckung: Neben der Stahl- und Zementindustrie zählt sie zu den energie- und CO2-intensivsten im Land.

Für viele Bereiche liegen die Konzepte für die Dekarbonisierung auf dem Tisch oder haben sich in Pilotanlagen bewährt. In anderen Feldern sind noch Anstrengungen bei Forschung, Entwicklung und Skalierbarkeit notwendig: Elektrifizierung, Einsatz von grünem Wasserstoff, Kreislaufwirtschaft und nachwachsende Rohstoffe, auch biotechnologische Verfahren und Katalysatoren weisen den Weg aus klimaschädlichen Prozessen. Gerade in der Chemie geht es dabei um erhebliche und langfristige Investitionen, teils um die komplette Umstellung von Produktionsanlagen. Also um Nichts, was die Unternehmen mal eben so aus dem Ärmel schütteln, ohne langfristige Planungssicherheit. Zur Unterstützung solcher Prozesse setzen wir auf einen breiten Instrumentenmix. 

Wer sich ehrlich macht, der weiß: die Transformation der Industrie ist eine Mammutaufgabe. Aber eine, zu der es keine Alternative gibt. Deutschland kann nur mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise seine internationale Position als globaler Industriestandort wahren und Wohlstand sichern, mit neuen Wertschöpfungsketten, neuen Produkten, Dienstleistungen, guten Arbeitsplätzen und zukunftsfähigen Geschäftsmodellen. Dies erfordert eine aktive Industriepolitik, die neuen Technologien und Innovationen zum Durchbruch verhilft, insbesondere dort, wo die Marktteilnehmenden selbst diese Risiken nicht tragen können. Diese muss für fairen Wettbewerb sorgen, in Forschung, Digitalisierung investieren, Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen sichern, die Gleichberechtigung der Geschlechter und nichtdiskriminierende Zugangsvoraussetzungen sicherstellen.

Der Autor

Dieter Janecek ist Sprecher für Industriepolitik und digitale Wirtschaft der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Obmann seiner Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie im Ausschuss Digitale Agenda.

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